Tati-Tati / rapidité-rapidité

Mon Oncle und Verwandte als geniale Geräuschpartitur ...
Eine Hommage an Jacques Tati Jacques Tatischeff

Wer kennt ihn nicht, den liebenswerten, bei aller Tollpatschigkeit geradezu eleganten, stets hilfsbereiten Monsieur Hulot?

Jacques Tati jedoch, der Schöpfer dieser Figur, scheint derzeit allerdings etwas in Vergessenheit zu geraten, die einzige nennenswerte deutsche Biographie in der Heyne Filmbuchreihe ist jedenfalls vergriffen und wird nicht wieder aufgelegt. Vielleicht liegt das daran, dass Tati mit seinen Filmen fast so etwas wie ein eigenes persönliches Genre geschaffen hat.

Gewiß, seine Filme gehören zu den Komödien, folgen aber keineswegs den traditionellen Genremustern. Es gibt wohl kaum einen anderen Komiker, der eine dermaßen positive optimistische Ausstrahlung hat wie Hulot/Tati. Und selbst der Begriff Komiker scheint seltsam deplaziert, als ob er auf einmal einen abwertenden Beigeschmack hätte. Dabei sind seine Filme natürlich umwerfend komisch, wobei in manchen späteren Filmen Hulot weit mehr zum Betrachter oder zufälligen Zeugen komischer Situationen wird, als daß er sie (in der Rolle des eher traditionellen Filmkomikers) hervorruft. Dies tut er natürlich auch, aber die Beobachtung allein scheint schon eine katalytische Kraft zu sein, die absurde Verkettungen in Gang setzt.

Vielleicht liegt Tatis mangelnde Präsenz auch einfach daran, dass er nur wenige Filme gemacht hat. Er war kein Mann der Kompromisse, Angebote aus Amerika, die nach dem Erfolg von Die Ferien des Monsieur Hulot mehrfach kamen (dieser Film war immerhin für zwei Oskars nominiert), hat er abgelehnt. Er wollte keinen Film drehen, der nicht völlig unter seiner Kontrolle war.

Tati war alles: Drehbuchschreiber, Regisseur, Darsteller und vieles mehr. Und diese Personalunion war für ihn essentiell. Nur so konnten seine Filme zu den Kunstwerken werden, als die sie schon zu seinen Lebzeiten erkannt wurden. Tati hat insgesamt nur fünf Spielfilme gedreht: Jour de fête (Tatis Schützenfest), Les Vacances de Monsieur Hulot (Die Ferien des Monsieur Hulot), Mon Oncle (Mein Onkel), Playtime (Tatis herrlich Zeiten) und Trafic (Tati im Stoßverkehr).
Die beiden letzten Filme wurden, obwohl von der Kritik hochgelobt, zu keinen Publikumserfolgen. Da sie zum Teil auch noch selbstfinanziert waren, trieb dieser Mißerfolg Tati in den Ruin. Playtime kostete die 1967 zumal für eine europäische Komödie exorbitante Summe von zehn Millionen Mark

Jacques Tatischeff wird am 9. Oktober 1907 in Le Pecq in Seine-et-Oise geboren, seine Jugend verbringt er in Saint Germain-en-Laye. 1932 schreibt er sein erstes Drehbuch zu einem unrealisierten Kurzfilm (Oscar champion de tennis). 1934 dann sein erster Kurzfilm: On demande une brute. Seit 1935 benutzt er den Namen Tati, dreht einige Sportaufnahmen. 1946: L'école des facteurs die erste Nachkriegsproduktion. Dann, von Mai bis November 1947 dreht er seinen ersten Spielfilm: Jour de fête. Dabei wird eine neue Farbtechnik getestet, die erst sehr viel später angewandt werden kann. 1949 kommt Jour de Fête als schwarz-weiß Film in die Kinos.

1952 dreht er Les Vacances de Monsieur Hulot. 1956 gründet seine eigene Produktionsgesellschaft: Spectra Films. 1957 folgt Mon Oncle, ein Jahr später vertritt dieser Film Frankreich beim Festival de Cannes. 1964 erscheint eine schablonenkolorierte Fassung von Jour de Fête. Von 1965 - 1967 arbeitet Tati unter großen finanziellen Schwierigkeiten an Playtime. 1971 erscheint Trafic. 1973 dreht er für das schwedische Fernsehen Parade.

Ein Jahr später macht Spectra Films Bankrott, und Tati verliert die Nutzungsrechte an seinen ersten vier Filmen. Trotz ernster gesundheitlicher Schwierigkeiten beginnt er die Arbeit an einem neuen Film: Confusion. Seine von Playtime herrührenden Schulden werden von einem Pariser Investor getilgt, so daß Tati wieder Einnahmen aus seinen früheren Filmen bezieht. Im gleichen Jahr erhält er den César für sein Ouevre. 1982 beendet er das Drehbuch zu Confusion.

Jacques Tatischeff, genannt Tati, stirbt am 24. November des gleichen Jahres. 1995 gelingt es einem Labor, den Farbfilm von Jour de Fête zu entwickeln. Damit ist der erste französische Farbfilm 50 Jahre nach seiner Entstehung erstmals vollständig zu sehen.

Geräusche

Interessant für das Temporäre Klangmuseum ist vor allem Tatis innovative Behandlung von Klängen und Geräuschen. Folgt man Mon Oncle oder Playtime mit geschlossenen Augen, erhält man eine Art Geräuschpartitur, sozusagen ein Stück musique concrète.

Die Musik in Tatis Filmen unterstützt meist eher die Gesamtstimmung, Mon Oncle kommt im Wesentlichen mit einer einzigen Melodie aus, einzelne Szenen, vor allem aber Personen und Gegenstände jedoch werden durch ihr persönliches Geräusch charakterisiert. Jede noch so kleine Handlung, die irgendwo im Hintergrund abläuft (und bei Tati läuft fast immer etwas irgendwo im Hintergrund ab) kann durch den Klang, den sie verursacht, in den Vordergrund transportiert werden.

In Playtime beispielsweise wird Tati erst sichtbar, als er weit hinten im Bild seinen Regenschirm fallen läßt, das Geräusch wird überdimensional verstärkt, und auf einmal merkt man überhaupt erst, dass er da ist. Oder wenn er in Mon Oncle seine Pfeife ausklopft (eine typische Hulot-Aktion), egal in welcher Klangumgebung er sich gerade befindet, dieses Geräusch bleibt immer wahrnehmbar. Es gibt unzählige solcher Beispiele.

Oft fügen sich die Klänge auch zu einem kurzen rhythmischen 'Stück', wie etwa die Klangcollage, die der amerikanische Geschäftsmann am Anfang von Playtime 'spielt'. Auch die Sprache wird meist nur als Klang eingesetzt. Es ist fast nie erforderlich, ein Gespräch wirklich zu verstehen. Wichtiger ist die Klangfarbe der Stimmen, der Inhalt ergibt sich von selbst. Und immer entsteht durch den souveränen Umgang mit den Geräuschen, Klängen, Stimmen und Rhythmen des Films eine ganze Partitur, jeder Film läßt sich auch allein mit den Ohren lesen.

Offizielle Website zu Tati http://www.tativille.com/